Noch Sandkörner im Knie

Vaihingen (p) - Viele der Besucher wussten nicht so recht, was sie bei einer Lesung aus einem Fußballbuch erwarten konnten. Doch der Autor Bernd Sautter, der in Aurich aufgewachsen ist, wusste in seinem „Heimspiel“ durchaus zu überzeugen. Tatsächlich enthielt er sich bei der Präsentation seines Buchs „Heimspiele Baden-Württemberg“ (die VKZ hat berichtet) jeder fußballerischen Besserwisserei. Sautter bot kurzweiliges Entertainment – zur großen Überraschung auch interessant für Nicht-Fußballfans.

Veranstalterin Sabine Spichtinger hatte den Rahmen vorbereitet. Sie hatte die Vaihinger Künstlerin Renate Leidner gebeten, ihre ballorientierten Werke auszustellen. Und tatsächlich: In der Sicht auf das Spiel sind sich Künstlerin Leidner und Autor Sautter durchaus ähnlich. Das, was auf dem Platz passiert, muss längst nicht das Interessanteste sein. Vermutlich sind die Dinge, die sich neben der Seitenlinie abspielen aus kultureller Sicht weitaus bemerkenswerter.

Auf Renate Leidner’s Werken erkannte man folgerichtig vor allem Zuschauer – mitunter auch eine Kuh. In Sautter’s Geschichten spielten diejenigen die Hauptrolle, die ansonsten Nebendarsteller sind. Schon auf dem Titel seines jüngst erschienen Buches „Heimspiele Baden-Württemberg“ versprach der ehemalige Auricher Geschichten, die unter die Grasnarbe gehen. Dieses Versprechen löste er auch bei seinem Auftritt in Vaihingen ein. Der Abend im Kirchensaal der ehemaligen methodistischen Kirche begann so wie es gehört: offensiv. Sautter erhielt freundliche Anfeuerung von seinem alten Kumpel aus Auricher Zeiten, dem vormaligen TSV-Vorsitzenden Gunther Heidt. Er ließ es sich nicht nehmen, dem Fußball-Literaten ein TSV-Aurich-Fanset mit Schal und Mütze zu überreichen.

Sautters Tipp: Aufpassen, dass die Kinder sich kein Bayern-Trikot kaufen

Für zusätzlichen Rückenwind sorgte Veranstalterin Sabine Spichtinger, die bereits bei Ihrer Begrüßung eine stilechte La-Ola-Welle auslöste. Tatsächlich sollten sich die Vorschusslorbeeren als durchaus berechtigt erweisen. Sautter hatte manche Geschichte auf Lager, die ansonsten im Abseits der Fußballkultur verschwunden wäre. Zum Beispiel aus Auwald. Hier entdeckte der Fußball-Autor das „offiziell“ schlechteste Team der deutschen Fußballgeschichte, den FC Auwald. „Spannende Erzählungen“, so Sautter, „handeln nur in seltenen Fällen von großen Siegern. Es sind die guten Verlierer, die leider all zu oft vernachlässigt werden.“ Ob seine Auricher Abstammung für diese Einstellung verantwortlich ist? An dieser Stelle blieb der Fußballbuch-Autor leider eine Antwort schuldig. Und vielleicht war das auch angebracht, schließlich war er selbst am Ball nicht gerade ein Jahrhundert-Talent.

Mit einer dicken Portion Lokalpatriotismus präsentierte Sautter dann die heimischen Beiträge zur Weiterentwicklung der Sportart. Zum Beispiel Torwarthandschuhe aus Latex, Rote und Gelbe Karten, Tipp-Kick, Schnürles (eine Art Fußball-Tennis) – alles rein schwäbische Erfindungen.

Der lauteste Beifall brandete auf, als der Autor forderte, dass alle Eltern und Großeltern aufpassen sollten, dass ihr Nachwuchs sich kein Bayern-Trikot kaufen würde. „Support your local football club“, setzte Sautter dagegen – also: unterstütze deinen lokalen Fußballverein – und betonte, dass die wahre Fußball-Kultur nicht in der Champions League, sondern in der Kreisklasse zuhause ist.

Dass die wichtigste unwichtige Nebensache der Welt nicht nur Schmunzeln oder Pathos produziert, sondern auch tragische Geschichten, erzählte Sautter am Beispiel des Belgiers Albrecht Olbrechts, der allein, ohne fremde Hilfe, das Ettlinger Albgau-Stadion baute, zehn Jahre lang, 30 000 Zuschauer fasst es offiziell. Die Lebensbuße für eine schwere Verfehlung in der Jugend, als sich Olbrechts der Legion Flandern – später ein Teil der Waffen-SS –angeschlossen und für sie gekämpft hatte.

Olbrechts hatte ihm diese Geschichte als 100-Jähriger persönlich erzählt, „sie ist es, die mich am meisten berührt hat“, sagt Sautter. Und so passierte es fast zwangsläufig, dass der Buchautor ein wenig überzog. Doch die anderthalb Stunden waren durchaus kurzweilig, so dass niemand im Publikum den Schlusspfiff herbeisehnte. „Das war aber deutlich interessanter als Kreisklasse“, kommentierte hinterher ein Besucher. Vielleicht war er schon lange nicht mehr auf dem heimischen Fußballplatz gewesen.

Quelle: VKZ vom 20.04.2016